Definition, Synthese, Resorption, Transport und Verteilung
Niacin (Vitamin B3)

Niacin ist ein Sammelbegriff für chemische Strukturen der Pyridin-3-Carbonsäure, wozu Nicotinsäure, ihr Säureamid Nicotinamid und die biologisch aktiven Coenzyme Nicotinamid-adenin-dinukleotid (NAD) und Nicotinamid-adenin-dinukleotid-phosphat (NADP) gehören. Die frühere Bezeichnung des Vitamin B3 als "PP-Faktor" (Pellagra Preventing Factor) beziehungsweise "Pellagra-Schutzfaktor" geht auf die Entdeckung von Goldberger im Jahre 1920 zurück, dass die Pellagra eine Mangelerkrankung ist und auf dem Fehlen eines Diätfaktors im Mais beruht. Erst viele Jahre später konnte durch experimentelle Untersuchungen der Beweis erbracht werden, dass die Pellagra durch Niacin beseitigt werden kann [2, 11, 13].

Nicotinamid ist bevorzugt im tierischen Organismus in Form der Coenzyme NAD und NADP zu finden. Nicotinsäure kommt hingegen vorrangig in pflanzlichen Geweben, wie Getreide und Kaffeebohnen, vor, allerdings in geringeren Mengen und ist dort hauptsächlich kovalent (mittels einer festen Atombindung) an Makromoleküle gebunden – Niacytin, eine für den menschlichen Organismus nicht verwertbare Form [2, 3, 11, 13].

Nicotinsäure und Nicotinamid sind im intermediären Stoffwechsel ineinander überführbar und in Form von NAD beziehungsweise NADP coenzymatisch wirksam [1, 3, 7, 11, 13].

Synthese

Der menschliche Organismus kann NAD auf drei verschiedenen Wegen herstellen. Ausgangsprodukte für die NAD-Synthese sind neben der essentiellen (lebensnotwendigen) Aminosäure Tryptophan die Nicotinsäure und das Nicotinamid [2, 7, 11, 13]. Die einzelnen Syntheseschritte sind wie folgt dargestellt.

NAD-Synthese aus L-Tryptophan

  • L-Tryptophan → Formylkynurenin → Kynurenin → 3-Hydroxykynurenin → 3-Hydroxyanthranilsäure → 2-Amino-3-carboxymuconsäuresemialdehyd → Chinolinsäure
  • Chinolinsäure + PRPP (Phosphoribosylpyrophosphat) → Chinolinsäureribonukleotid + PP (Pyrophosphat)
  • Chinolinsäureribonukleotid → Nicotinsäureribonukleotid + CO2 (Kohlendioxid)
  • Nicotinsäureribonukleotid + ATP (Adenosintriphosphat) → Nicotinsäureadenindinukleotid + PP
  • Nicotinsäureadenindinukleotid + Glutaminat + ATP → NAD + Glutamat + AMP (Adenosinmonophosphat) + PP

NAD-Synthese aus Nicotinsäure (Preiss-Handler-Weg)

  • Nicotinsäure + PRPP → Nicotinsäureribonukleotid + PP
  • Nicotinsäureribonukleotid + ATP → Nicotinsäureadenindinukleotid + PP
  • Nicotinsäureadenindinukleotid + Glutaminat + ATP → NAD + Glutamat + AMP + PP

NAD-Synthese aus Nicotinamid

  • Nicotinamid + PRPP → Nicotinamidribonukleotid + PP
  • Nicotinamidribonukleotid + ATP → NAD + PP

NAD wird durch Phosphorylierung (Anhängen einer Phosphatgruppe) mittels ATP und der NAD-Kinase in NADP umgewandelt

  • NAD+ + ATP → NADP+ + ADP (Adenosindiphosphat)

Die NAD-Synthese aus L-Tryptophan spielt nur in Leber und Niere eine Rolle. Dabei sind beim Menschen im Durchschnitt 60 mg L-Tryptophan einem Milligramm Nicotinamid äquivalent (gleichwertig). Der Vitamin B3-Bedarf wird daher in Niacinäquivalenten angegeben (1 Niacinäquivalent (NÄ) = 1 mg Niacin = 60 mg L-Tryptophan). Dieses Verhältnis gilt jedoch nicht bei Tryptophan-armer Ernährung, da bei niedriger Tryptophanzufuhr die Proteinbiosynthese limitiert (begrenzt) ist und die essentielle Aminosäure so lange ausschließlich für die Proteinbiosynthese (Neubildung von Proteinen) verwendet wird, bis ein Überschuss über den Bedarf zur Proteinbiosynthese die NAD-Synthese ermöglicht [1-3, 7, 8, 11, 13]. Demnach ist auf eine ausreichende Tryptophanzufuhr zu achten. Gute Tryptophanlieferanten sind vor allem Fleisch, Fisch, Käse und Eier sowie Nüsse und Hülsenfrüchte [11].

Zudem ist eine ausreichende Versorgung mit Folat, Riboflavin (Vitamin B2) und Pyridoxin (Vitamin B6) von Bedeutung, da diese Vitamine im Tryptophanstoffwechsel beteiligt sind [3, 7, 11]. Auch die Qualität und Quantität des Proteinkonsums sowie das Fettsäuremuster beeinflussen die Synthese des Niacin aus L-Tryptophan. Während bei Erhöhung der Zufuhr ungesättigter Fettsäuren die Umsetzung von Tryptophan zu NAD zunimmt, sinkt mit zunehmender Proteinmenge (> 30 %) die Konversionsrate (Umwandlungsrate) [2, 13]. Dabei verursacht insbesondere ein Überschuss an der Aminosäure Leucin Störungen im Tryptophan- beziehungsweise Niacinstoffwechsel, denn Leucin hemmt sowohl die zelluläre Aufnahme von Tryptophan als auch die Aktivität der Chinolinsäure-Phosphoribosyl-Transferase und somit die NAD-Synthese [2]. Konventioneller Mais zeichnet sich durch einen hohen Leucin- und geringen Tryptophangehalt aus. Durch züchterische Verbesserungen konnte die Maissorte Opaque-2 hergestellt werden, die eine relativ hohe Protein- und Tryptophankonzentration und einen niedrigen Leucingehalt aufweist. Auf diese Weise kann in Ländern, in denen Mais ein Grundnahrungsmittel ist, wie Mexiko, dem Auftreten von Vitamin B3-Mangelerscheinungen vorgebeugt werden [2, 11].

Die endogene (körpereigene) Synthese von Niacin aus L-Tryptophan schwankt schließlich in Abhängigkeit von der Qualität der Nahrung. Trotz durchschnittlicher Umsetzung von 60 mg Tryptophan zu 1 mg NÄ, liegt die Schwankungsbreite zwischen 34 und 86 mg Tryptophan [14]. Demnach sind über die Eigenproduktion von Vitamin B3 aus Tryptophan keine genauen Angaben möglich [1, 11].

Resorption

Nicotinamid wird nach Aufspaltung der Coenzyme bereits im Magen, zum größten Teil jedoch im oberen Dünndarm nach bakterieller Hydrolyse (Spaltung durch Reaktion mit Wasser) als freie Nicotinsäure rasch und fast vollständig absorbiert (aufgenommen). Die intestinale Aufnahme (Aufnahme über den Darm) in die Mukosazellen (Schleimhautzellen) folgt einem dosisabhängigen dualen Transportmechanismus. Niedrige Niacindosen werden in Abhängigkeit eines Natrium-Gradienten aktiv mittels eines Carriers nach einer Sättigungskinetik, hohe Niacindosen (3-4 g) zusätzlich durch passive Diffusion resorbiert (aufgenommen) [1, 2, 4, 5, 7, 11, 13].
Die Resorption von freier Nicotinsäure erfolgt ebenfalls im oberen Dünndarm rasch und nahezu vollständig nach dem gleichen Mechanismus [2, 7, 11, 13].

Die Absorptionsrate von Niacin wird im Wesentlichen von der Lebensmittelmatrix (Beschaffenheit der Lebensmittel) beeinflusst. So findet sich bei tierischen Lebensmitteln eine Resorption von nahezu 100 %, während bei Getreideprodukten und anderen Nahrungsmitteln pflanzlicher Herkunft aufgrund der kovalenten Bindung der Nicotinsäure an Makromoleküle – Niacytin – mit einer Bioverfügbarkeit von nur etwa 30 % zu rechnen ist [2, 3, 10, 12, 13]. Durch bestimmte Maßnahmen, wie Alkalibehandlung (Behandlung mit Alkalimetallen beziehungsweise chemischen Elementen, wie Natrium, Kalium und Calcium) oder Rösten der entsprechenden Lebensmittel, kann die komplexe Verbindung Niacytin gespalten und der Anteil an freier Nicotinsäure erhöht werden, woraus eine deutlich gesteigerte biologische Verwertbarkeit der Nicotinsäure resultiert. In Ländern, in denen Mais der wesentliche Niacinlieferant ist, wie Mexiko, steht durch Vorbehandlung des Getreides mit Calciumhydroxidlösung ein Grundnahrungsmittel zur Verfügung, das wesentlich zur Deckung des Niacinbedarfs beiträgt [2, 3, 11, 13]. Durch das Rösten von Kaffee wird die in den grünen Kaffeebohnen enthaltene, für den Menschen nicht verwertbare Methylnicotinsäure (Trigonellin) demethyliert, wodurch der Gehalt an freier Nicotinsäure von zuvor 2 mg/100 g grünen Kaffeebohnen auf etwa 40 mg/100 g Röstkaffee ansteigt [2, 3, 11, 13].

Eine gleichzeitige Nahrungszufuhr hat keinen Einfluss auf die Resorption von Nicotinsäure und Nicotinamid [11].

Transport und Verteilung im Körper

Resorbiertes Niacin, hauptsächlich als Nicotinsäure, gelangt über das Portalblut in die Leber, wo es zur Umwandlung in die Coenzyme NAD und NADP kommt [2-4, 7, 11]. Neben der Leber sind auch die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und andere Gewebe an der Speicherung von Niacin in Form von NAD(P) beteiligt [4, 11]. Die Reservekapazität an Vitamin B3 ist jedoch begrenzt und beträgt bei Erwachsenen etwa 2-6 Wochen [11, 13].

Die Leber reguliert den NAD-Gehalt in den Geweben in Abhängigkeit von der extrazellulären (außerhalb der Zelle gelegenen) Nicotinamidkonzentration – bei Bedarf spaltet sie NAD zu Nicotinamid auf, das auf dem Blutweg zur Versorgung der anderen Gewebe dient [2, 3, 11, 13].

Vitamin B3 besitzt einen ausgeprägten First-Pass-Metabolismus (Umwandlung eines Stoffes währenddessen erster Passage; engl.: first pass) durch die Leber), sodass im niedrigen Dosisbereich Nicotinamid lediglich in Form der Coenzyme NAD und/oder NADP von der Leber in die systemische Zirkulation abgegeben wird [6, 9, 11].
In Versuchen an Ratten konnte festgestellt werden, dass nach intraperitonealer Applikation (Verabreichung eines Stoffes in die Bauchhöhle) von 5 mg/kg Körpergewicht markierter Nicotinsäure nur ein geringer Teil unverändert im Urin auftritt. Nach hohen Dosen (500 mg Niacin) beziehungsweise unter Steady-State-Bedingungen (orale Dosis von 3 g Niacin/Tag) fand sich hingegen über 88 % der verabreichten Dosis in unveränderter und metabolisierter (verstoffwechselter) Form im Urin wieder, was auf eine nahezu vollständige Resorption schließen lässt [11].

Nicotinsäure kann im Gegensatz zu Nicotinamid die Blut-Hirn-Schranke (physiologische Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem Zentralnervensystem) nicht passieren und muss dazu erst über NAD in Nicotinamid umgewandelt werden [11].

Ausscheidung

Unter physiologischen Bedingungen wird Niacin hauptsächlich als:

  • N1-Methyl-6-Pyridon-3-Carboxamid
  • N1-Methyl-Nicotinamid und
  • N1-Methyl-4-Pyridon-3-Carboxamid über die Niere eliminiert [11].

Nach höheren Dosen (3 g Vitamin B3/Tag) ändert sich das Ausscheidungsmuster der Metabolite (Abbauprodukte), sodass vorrangig:

  • N1-Methyl-4-Pyridon-3-Carboxamid,
  • Nicotinamid-N2-Oxid und
  • unverändertes Nicotinamid im Urin auftreten [11].

Unter Basalbedingungen scheidet der Mensch etwa 3 mg methylierte Metabolite täglich über die Niere aus [3, 13]. Bei defizitärer (mangelhafter) Vitamin B3-Zufuhr nimmt die renale Eliminierung (Ausscheidung über die Niere) des Pyridons früher ab als die des Methyl-Nicotinamids [2, 3]. Während eine Ausscheidung von N1-Methyl-Nicotinamid von 17,5-5,8 µmol/Tag auf einen grenzwertigen Niacinstatus hinweist, ist eine Eliminierung < 5,8 µmol N1-Methyl-Nicotinamid/Tag ein Indikator für einen Mangel an Vitamin B3 [11].

Die Eliminations- beziehungsweise Plasmahalbwertszeit (Zeitspanne, die zwischen der Maximalkonzentration einer Substanz im Blutplasma auf den Abfall auf die Hälfte dieses Wertes verstreicht) ist vom Niacinstatus und der zugeführten Dosis abhängig. Sie beträgt im Mittel etwa 1 Stunde [11].

Eine chronische Dialysebehandlung (Blutreinigungsverfahren), die bei Patienten mit chronischem Nierenversagen zur Anwendung kommt, kann zu nennenswerten Niacinverlusten und somit zu erniedrigen Nicotinamid-Serumspiegel führen [2, 11].

Literatur

  1. Bässler KH, Grühn E, Loew D, Pietrzik K: Vitamin-Lexikon für Ärzte, Apotheker und Ernährungswissenschaftler. 3. Auflage. Urban & Fischer, München 2002
  2. Biesalski HK, Köhrle J, Schümann K: Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Prävention und Therapie mit Mikronährstoffen. Georg Thieme Verlag; Stuttgart/New York 2002
  3. Biesalski HK, Fürst P, Kasper H et al.: Ernährungsmedizin. Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2004
  4. Bundesinstitut für Risikobewertung: Domke A, Großklaus R, Niemann B, Przyrembel H, Richter K, Schmidt E, Weißenborn A, Wörner B, Ziegenhagen R (Hrsg.); Verwendung von Vitaminen in Lebensmitteln – Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte Teil 1. BfR-Hausdruckerei Dahlem, 2004
  5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 5. Auflage. In: DGE/ÖGE/SGE/SVE. Umschau- Braus-Verlag, Frankfurt/Main (2013)
  6. Gaßmann B:  Niacin - Definition, Ernährungsphysiologie, Stoffwechsel, Empfehlungen, Versorgung und Versorgungszustand in der Bundesrepublik Deutschland. Ernährungs-Umschau; 44: 10. 1997
  7. Hahn A, Ströhle A, Wolters M: Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2006
  8. Kasper H: Ernährungsmedizin und Diätetik. 10. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München 2004
  9. Knip M, Douek IF, Moore PT et al.: Safety of high dose nicotinamide: a review. Diabetologia. 2000 Nov;43(11):1337-45.v
  10. Mensink G, Burger M, Beitz R et al.: Was essen wir heute? Ernährungsverhalten in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin 2002
  11. Pietrzik K, Golly I, Loew D: Handbuch Vitamine. Für Prophylaxe, Beratung und Therapie. Urban & Fischer Verlag, München 2008
  12. Roth-Maier D.A., Wauer A., Stangl G., Kirchgessner M: Preceaecal digestibility of niacin and pantothenic acid from different foods. Int J Vitam Nutr Res. 2000 Jan;70(1):8-13.
  13. Schmidt E, Schmidt N: Leitfaden Mikronährstoffe. Orthomolekulare Prävention und Therapie. 1. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München 2004
  14. Souci SW, Fachmann W, Kraut H: Die Zusammensetzung der Lebensmittel, Nährwert-Tabellen, 7. Auflage. Medpharm Scientific Publishers Stuttgart. 2008

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