Eine Vitamin E-Unterversorgung entwickelt sich in der Regel durch eine angeborene oder erworbene Erkrankung. Im Vordergrund stehen Krankheiten mit einer Fett-Malassimilation, wie es zum Beispiel bei Sprue, Kurzdarmsyndrom, zystischer Fibrose sowie A-Beta-Lipoproteinämie der Fall ist [8, 10, 11]. Die Fett-Assimilationsstörung ist durch eine fehlende Nutzbarkeit von über die Nahrung aufgenommenen Fettsäuren beziehungsweise fettlöslichen Vitaminen aufgrund fehlender enzymatischer Spaltung im Darm (Maldigestion) oder aufgrund von Resorptionsdefekten (Malresorption) charakterisiert.Bei suboptimaler Vitamin E-Versorgung beziehungsweise bei marginalen Defiziten kommen erst nach längerer Zeit die bekannten pathologischen Folgen des oxidativen Stresses – aufgrund eines unzureichenden antioxidativen Abwehrsystems – zum Vorschein [2].
Oxidativer Stress steht im Zusammenhang mit der Pathogenese von
- Tumorerkrankungen [9]
- Atherosklerose beziehungsweise Koronare Herzkrankheit (KHK) [9]
- Katarakt (grauer Star) [9]
- Neurodegenerativen Erkrankungen wie beispielsweise Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer [9]
- Krankheitsbedingten Folgeerscheinungen wie beispielsweise Reperfusionsschäden am Herzen [9]
Typische Zeichen eines Vitamin E-Mangels
- Verkürzung der Lebenszeit der Erythrozyten (roten Blutkörperchen) und erhöhte Hämolyseneigung – gesteigerter Abbau beziehungsweise Zerfall der Erythrozyten durch Zerstörung der Zellmembran – [1, 12]
- Beeinflussung der Aktivität (sowohl Erhöhung als auch Erniedrigung) zahlreicher Enzyme, vor allem Membranenzyme – nach neuesten Erkenntnissen sind bisher 147 verschiedene Enzyme und Enzymsysteme bekannt, die durch einen Vitamin E-Mangel beeinflusst werden [3]
Die wichtigste biologische Funktion von Vitamin E besteht darin, als lipidlösliches Antioxidans die Zerstörung mehrfach ungesättigter Fettsäuren (beispielsweise Linol-, Arachidon-, Docosahexaensäure) durch Lipidperoxidationsprozesse im Gewebe, in Zellen, Zellorganellen und artifiziellen Systemen zu verhindern und so Membranlipide, Lipoproteine und Depotfette zu schützen [5, 6, 7].
Bei ungenügenden Vitamin E-Reserven im Körper nimmt die Lipidperoxidation im Blut und Gewebe zu. Anhand von Messungen konnten bei Personen mit niedrigen Vitamin E-Plasmakonzentrationen vermehrt Lipidperoxidationsprodukte, wie Malonaldehyd, Hydroperoxyfettsäuren, floureszierende Produkte, Ethan und Pentan, festgestellt werden [3].
Neuromuskuläre Störungen
- Myopathien – Erkrankung der Muskelzellen infolge einer Entzündung des Muskelgewebes, Muskelschwäche – und Anstieg der Kreatinkinase im Plasma, wobei die erhöhte Kreatinausscheidung über den Urin auf die Muskelmembranschädigung hinweist [1, 2]
- Neuropathien – Erkrankung des peripheren Nervensystems, neurologische Störungen, Störungen in der neuromuskulären Informationsübertragung – mit Störungen der Tiefensensibilität, Areflexie – Ausfall der Eigenreflexe –, Ataxie – Störungen der Bewegungskoordination und Gleichgewichtsregulation bezüglich der Bewegungen der Augen, der am Sprech- und Stimmakt beteiligten Muskeln, der Muskeln des Kopfes, des Halses, Rumpfes, der Extremitäten –, Encephalopathie – krankhafte Veränderungen des Gehirns [1, 2]
Frühgeborene weisen sehr geringe Vitamin E-Speicher und eine noch unausgereifte intestinale Resorption lipophiler Substanzen auf. Darüber hinaus ist der Bedarf in dieser Phase aufgrund von Wachstum und Entwicklung erhöht. Schließlich kommt es bei Frühgeborenen besonders häufig zu manifesten Mangelsymptomen, wie
- Reduzierte Halbwertzeit der Erythrozyten (roten Blutkörperchen) mit hämolytischer Anämie – Mangel an Erythrozyten infolge des gesteigerten Abbaus beziehungsweise Zerfalls der Erythrozyten [2, 12]
- Bronchopulmonale Dysplasie (chronische Lungenerkrankung, wobei Frühgeborene wegen eines sogenannten Atemnotsyndroms über eine längere Zeit künstlich beatmet werden müssen und zugleich eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen) – da das Lungensurfactant (die das Respirationssystem der Lunge auskleidende, oberflächenaktive Substanz) aus Lipiden und Proteinen besteht, ist es bei Vitamin E-Mangel den oxidativen Angriffen schutzlos ausgesetzt und kann seine Funktion nur ungenügend erfüllen [1, 2, 12]
- Vaskuläre Störungen – Ventrikelblutungen beziehungsweise intrakranielle Blutungen (Hirnblutungen) [1, 2, 12]
- Retrolentale Fibroplasie – Schäden an Sehnerv und Netzhaut mit Trübungen im Bereich des Glaskörpers [1]
Literatur
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